Samstage

06/2020

Ich reisse meine Augen auf. Ein dünner Schweissfilm benetzt meine Haut. Das T-Shirt klebt. Hastig schaue ich mich um. Es ist Morgengrauen.

Mit einer Einladung zum Abholen eines eingeschriebenen Briefes in der einen Hand drücke ich mit der Anderen den Knopf am Ticketschalter. Ein Summen erklingt und sofort spuckt die Maschine einen winzigen Zettel mit einer, im Gegensatz zur Papiergrösse, gigantischen aufgedruckter Nummer aus. 141. Ob das wohl die Anzahl der heutigen Kundinnen und Kunden oder ob es eine zufällig generierte Nummer war?

Wie lange starre ich schon an die weisse Decke? Ich sehe schon Muster im Verputz. Meine Brust ist schwer, als ob ein Bleiklotz darauf presst. Mir ist kalt.

Eine frische Brise zieht an mir vorbei, als ich aus der Poststelle hinaustrete. Die Sonne kitzelt auf der Nase. Ich muss lächeln und weiss nicht genau warum. Als ich gerade nach Hause laufen wollte, Hafermilch! Genau! Normalerweise hole ich die im Migros, doch bin ich ja den Umweg zur Post gelaufen. Coop wäre näher. Aber haben die überhaupt ungesüsste Hafermilch? Während ich die Möglichkeiten abwäge, lasse ich meinen Blick wandern. Dieser bleibt an einem Banner hängen. Neueröffnung Alnatura.

Mittlerweile habe ich es geschafft mich aufzurichten. Draussen quakt ein Frosch beim Brunnen. Das Plätschern hat etwas Beruhigendes. Wo sind eigentlich meine Zigaretten?

Die Schiebetüren gleiten auseinander, ein netter Herr bietet mir ein Stück des veganen Käses, oder war es doch einfach ein Bio-Fair-Trade Käse, an. Jedenfalls hats nicht schlecht geschmeckt. Wo ist eigentlich die Hafermilch? Ich drehe mich nach dem Verkäufer um, doch dieser ist schon verschwunden. Nun gut, alle Lebensmittelläden sind doch gleich aufgebaut. Oder ich könnte einfach jemanden fra-

Das Drehen der Zigarette scheint mir schwerer zu fallen als sonst. Muss wohl an den noch immer kalten Fingern liegen. In der Ferne höre ich ein anderes Quaken. Oder ist es etwa der gleiche Frosch?

-da sehe ich sie. Wie sie ihren zierlichen und doch starken Körper in die Länge streckt, um die Hafermilch im obersten Regal aufzufüllen. Auf den Zehenspitzen steht sie, nein, balanciert sie. Sie macht einen kleinen Satz und schiebt die Hafermilch nach hinten. Plötzlich dreht sie ihren Kopf zu mir. Wie lange habe ich sie schon angestarrt? Ob sie mir helfen könne. Dabei streift sie sich mit dem Handrücken über ihre Nase. Stauballergie, sorry. Eine Wärme strahlt von ihr aus. Ist sie die Sonne?

Die Sonne wird durch dicke graue Wolken, die im Himmel hängen, verdeckt. Das Streichholz entflammt, ich atme tief ein und lasse mich in den Sessel sinken. Beim Ausblasen des Rauches ist fast ein Ring entstanden, aber nur fast.

Wie angewurzelt bleibe ich stehen. Unbeholfen kann ich gerade noch auf die Hafermilch zeigen. Bei den Preisen hätte es mir wohl die Sprache verschlagen. Ah ja, schlagfertig ist sie natürlich auch noch. Ich kann mir mein Lächeln nicht- mehr verkneifen. Sie strahlt mich an. Ich strahle.

Neblige Erinnerungen tauchen vor mir auf. Oder war es alles doch nur ein Traum? Ich habe diese Wärme doch gespürt. Das war real. Es muss sein. Mir ist, als würde mich diese gleiche Wärme wieder auf der Nase kitzeln. Ich öffne meine Augen. Golden hüllt sie mich ein.